Verschlüsselte Chats der organisierten Kriminalität

März 2021. Wegen mehrerer Strafverfahren erfolgt in Europa eine grenzüberschreitende, koordinierte Polizeiintervention. Gegen 300 Hausdurchsuchungen, über einhundert Festnahmen und sichergestellte Drogengelder in Höhe von mehr als einer Million Euro in Belgien, Frankreich und den Niederlanden. Dabei werden auch Handys und Server sichergestellt, auf denen der Messengerdienst Sky ECC installiert ist.

Schwerkriminelle aus aller Welt hatten bis zu diesem Tag ihre Geschäfte über Sky ECC abgewickelt. Der Dienst war nicht billig, dafür versprach er eine sehr hohe Sicherheit aufgrund der starken Verschlüsselung, Anonymität und zusätzlicher technischer Besonderheiten. Wer über Sky ECC chatten wollte, musste eines der vom Unternehmen extra dafür angepassten Smartphone-Modelle kaufen. Internationale Drogenhändler, Mafia- und Kartellbosse fühlten sich mit Sky ECC so sicher, dass sie ihre Geschäfte in diesen Chats einfädelten und abwickelten – ähnlich wie man in einer Inserate-App nach der Verfügbarkeit des Occasion-Gummiboots fragt und einen Abholtermin vereinbart.

Datenanalyse

2021 reisen Mitarbeitende von fedpol zu Europol. Sie erhalten erste Einblicke in die sichergestellten und entschlüsselten Daten. Spezialisten mehrerer Länder arbeiten an der Triage der Daten und ordnen sie den entsprechenden Mitgliedsstaaten zu.

Durch die Kooperation mit Europol und die Beteiligung der Schweiz an der entsprechenden Operational Taskforce (OTF) erhält fedpol Anfang 2022 einen permanenten Zugang zu den Daten mit Schweiz-Bezug. Die Kriminalanalyse von fedpol bringt Ordnung in die Daten. Gemeinsam mit der IT-Forensik arbeitet sie Varianten aus, um die als Rohdaten gelieferten Inhalte lesbar zu machen und mit ihnen arbeiten zu können.

Erste Erkenntnisse werden den Ermittlern der Bundeskriminalpolizei und den Kantonspolizeien im ersten Halbjahr 2022 übermittelt.

OKTOPUS

Um sich richtig aufzustellen, wird ein Koordinationsgremium ins Leben gerufen: OKTOPUS. Ziel: Austausch von Technik und Know-how sowie die Abstimmung der Analyse- und Ermittlungsarbeit. 

Die Kriminalpolizeien der Schweiz können dank der von Europol gelieferten Daten neue, bisher noch unbekannte Zusammenhänge erkennen und Verdächtige identifizieren.

Die Kriminalpolizeien der Kantone und die Bundeskriminalpolizei von fedpol stellen fest, dass die vorhandenen Personalressourcen nicht ausreichen, um die Erkenntnisse vollständig zu nutzen Die Ressourcen müssen gebündelt und nach Prioritäten eingesetzt werden. Die Vereinigung der Schweizerischen Kriminalpolizei-Chefinnen und -Chefs (VSKC) beschliesst deshalb im Herbst 2022, eine operative Untergruppe namens OKTOPUS unter dem Lead der Bundeskriminalpolizei ins Leben zu rufen.

Es ist nicht das erste Mal, dass mehrere Kantone und fedpol für kantonsübergreifende Ermittlungen gemeinsame Teams bilden. OKTOPUS dient jedoch nicht den Ermittlungen in einem konkreten Fall, sondern als strategisches Steuerungselement für den Ressourceneinsatz in komplexen polizeilichen Ermittlungen gegen organisierte Kriminalität. Die Mitglieder von OKTOPUS besprechen, in welchen Kantonen welche Ermittlungen geführt werden, welche Ressourcen dort dafür vorhanden sind und welche Kantone dabei unterstützen können.

Sky ECC ist für die Kriminellen nicht mehr nutzbar. Sky ECC ist aber bei weitem nicht der einzige solche Messengerdienst. Viele Nutzer von Sky ECC sind inzwischen auf andere ähnliche Systeme umgestiegen. Früher oder später werden also wieder internationale Ermittlungen zur Stilllegung eines verschlüsselten Kommunikationssystems führen. Die mit OKTOPUS gesammelten Erfahrungen im Umgang mit riesigen Datenmengen, mit deren Auswertung und Nutzbarmachung für laufende Ermittlungen und Strafverfahren werden fedpol und den Kantonen auch in Zukunft dienen.