Geldkassette öffnen – Check. Sprengstoff oder Gas einführen – Check. Zündung initiieren und in Deckung gehen – Check. Koordiniert und effizient agieren die Geldautomaten-Angreifer. Ihre Modi Operandi? Variieren.
2022: 57 Geldautomaten-Angriffe in 13 Kantonen. 20 Sprengungen, 8 Gasangriffe und 25 Aufbrüche. So viele wie noch nie. Längst sind nicht mehr nur Grenzkantone betroffen.
Wer dahinter steckt? Gemäss bisherigen Erkenntnissen gibt es drei bis vier Täterkonstellationen: Jede hat sich auf eine Angriffsart spezialisiert. Das Ziel? Das ist bei allen gleich: Möglichst schnell möglichst viel Bargeld erbeuten und möglichst schnell die Schweiz wieder verlassen.
Doch Spuren hinterlassen alle – das ist unvermeidlich. Und die bringen Erkenntnisse über die sogenannten Modi Operandi der Verbrecher. Sie ermöglichen ein Lagebild:
Sprengstoffangriffe? Die Täter sind meist rumänisch-moldauischer oder niederländischer Herkunft.
Gassprengungen? Die Spuren führen zu französischen, serbischen und rumänischen Tätergruppierungen.
Aufbrüche? Sie sind eher Tätern aus dem albanisch-sprachigen Raum zuzuordnen.
Mehrere Wochen lang beobachten fedpol, verschiedene Kantonspolizeien, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und das Office central de lutte contre la délinquence itinérante eine kosovo-albanische Gruppierung. Hinweise dafür bestehen, dass sie für mehrere Geldautomaten-Angriffe in der Schweiz und in Deutschland verantwortlich ist. Es wird nicht lange gezögert – in einer koordinierten Aktion, frühmorgens am 25. Juli, werden in Frankreich drei Personen festgenommen. Die Beschuldigten agierten kantons- und länderübergreifend und nutzten das Oberelsass als Rückzugsraum; so die Erkenntnisse aus dieser Operation. Ein wichtiger Schlag gegen die kosovo-albanische Gruppierung.
Die Tätergruppierungen unterscheiden sich nicht nur aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Angriffsmethoden; sie bevorzugen auch verschiedene Geldautomaten-Standorte und sind in unterschiedlichen Teilen der Schweiz aktiv. Sie kommen im Schutz der Dunkelheit und nutzen den Zeitraum zwischen Mitternacht und Morgengrauen.
Die Täter gehen brachial vor. Sie sprengen ohne Rücksicht auf die Umgebung, plündern die Geldautomaten innert weniger Minuten und teilen danach die Beute auf. Hinter den drei oder vier Tätern stecken organisierte kriminelle Netzwerke. Unkoordinierte Nachahmungstäter sind erfahrungsgemäss eher selten.
Geldautomaten-Angriffe sind Teamarbeit: Die Einen beschaffen den Sprengstoff, die Anderen mieten Rückzugsräume in Grenznähe. Dritte wiederum stellen Fluchtfahrzeuge zur Verfügung. Oftmals sind es gestohlene Fahrzeuge mit falschen oder gar keinen Kennzeichen. Die Täter flüchten rasend schnell auf vier Rädern. Andere wiederum auf zwei, mit dem Scooter. Auch das hat es schon gegeben.
Sie sind vermummt. Das erschwert die Identifikation. Umso wichtiger für die Ermittlungen sind Spuren. Fingerabdrücke oder DNA-Spuren werden in CODIS, der DNA-Datenbank, und AFIS, der Fingerabdruckdatenbank, eingegeben und mit bekannten Profilen verglichen. Immer wieder gibt es Hits.
Hits liefern Namen. Diese sind meist nicht unbekannt – die Täter sind in weiteren Kriminalitätsfeldern aktiv. Die rumänisch-moldauischen Gruppierungen begehen allerhand Eigentumsdelikte, wie beispielsweise Ladendiebstähle. Oder sie sind im Rotlichtmilieu tätig. Bei den niederländischen Gruppierungen bestehen Bezüge zur Mocro-Mafia, die hauptsächlich dort und in Belgien ansässig ist. Die Mocro-Mafia ist einer der grössten Akteure im europäischen Betäubungsmittelhandel; sie wird beschuldigt, hinter dem Mord am niederländischen Journalisten Peter de Vries zu stecken.
Die Bezüge zur organisierten Kriminalität zeigen: Geldautomaten-Angreifer sind keine Kleinkriminellen. Im Gegenteil: Sie sind gut organisiert, schnell und der Polizei stets einen Schritt voraus.
Im Kampf gegen die Geldautomaten-Angreifer braucht es alle Mittel: Kooperation, Repression und Prävention. Deshalb führt fedpol seit 2021 den nationalen Einsatzstab ATM. Darin vereinigt sind die polizeilichen Abteilungen Kriminalanalyse, Ermittlungen, Operationen, Kommunikation und Prävention, mit Vertreterinnen der kriminalpolizeilichen Dienste der Kantone, dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit sowie dem Forensischen Institut Zürich. Ziel: Koordinierte und rasche Wirkung in der föderalistischen Sicherheitslandschaft Schweiz.