Reise in ein Kriegsgebiet

Im Oktober 2022 reist Bundespräsident Ignazio Cassis in die Ukraine. Um die Schutzmassnahmen im Kriegsgebiet vorzubereiten, bleiben fedpol und seinen Partnern nur wenig Zeit. Einmal mehr zeigt sich, wie zentral Kooperation in der Polizeiarbeit ist.

Nach der Ukraine Recovery Conference (URC2022) im Juli 2022 entscheidet Bundespräsident Ignazio Cassis, die Ukraine zu besuchen. Die Reise auf Einladung des ukrainischen Präsidenten, Wolodymyr Selenskyj, soll im Oktober stattfinden. Im Land herrscht der russische Angriffskrieg, die Hauptstadt Kiew steht unter Beschuss. Viel Zeit für die Planung bleibt nicht – der Schutzauftrag wird für fedpol zur Herausforderung. Der Besuch in einem Kriegsgebiet ist der besonderen Art. Der Fokus: die Sicherheit des Bundespräsidenten und seiner Delegation. Der Schlüssel: die enge Zusammenarbeit zwischen fedpol, dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Spezialisten der Armee und den ukrainischen Sicherheitskräften. Die Bedingung: Die Mission muss im Vorfeld absolut geheim bleiben.

Ein starkes Team für eine geheime Mission

Nur wenige Personen sind informiert. Dringen Details zum geplanten Treffen mit Wolodymyr Selenskyj an die Öffentlichkeit, erhöht dies die Gefahr für alle Teilnehmenden. Der Kreis der Involvierten muss klein bleiben und doch braucht es ein starkes Team. fedpol weiss: Ohne Partner kann dieser Schutzauftrag nicht erfüllt werden.

Schutzauftrag im Ausland

Bei Auslandreisen von Magistratspersonen analysiert fedpol die konkrete Lage gemeinsam mit dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) und koordiniert gestützt auf seine Gefährdungseinschätzung ein Dispositiv mit den Sicherheitskräften des Gaststaates. Der Entscheid, eine Reise durchzuführen, liegt immer beim jeweiligen Departement.

Da es sich beim Bundespräsidenten um eine völkerrechtlich geschützte Person handelt, obliegt die Verantwortung für die Sicherheit der Schweizer Delegation in erster Linie bei den Behörden des Gastgeberlands. Die Schutzmassnahmen durch die Schweizer Sicherheitskräfte ergänzen die Sicherheitsvorkehrungen des Gastlandes.

Diese Reise ist nicht vergleichbar mit anderen Staatsbesuchen. Der Krieg lässt keine fixe Planung zu, es muss laufend in Szenarien gedacht werden. Vor Ort werden der Delegation Sicherheitskräfte der Ukraine zur Seite stehen. Wegen der noch anwesenden Schweizer Vertretung sind Teile des Kommandos Spezialkräfte mit dem Armee-Aufklärungsdetachement 10 – kurz AAD 10 – bereits seit mehreren Monaten im Land. Diese Berufseinheit der Armee ist bestens vernetzt und bringt das Fachwissen sowie die Ausbildung für einen Einsatz im Kriegsgebiet mit. Das AAD 10 unterstützt fedpol beim Schutzauftrag im Ausland subsidiär – die Teams teilen den gleichen Mindset, ergänzen sich gut. Gemeinsam mit dem EDA und seinem Krisenmanagement-Zentrum (KMZ) werden Informationen ausgetauscht, Zeitpläne diskutiert und Routen geplant. Die Reise rückt näher, Polizisten von fedpol fliegen nach Polen und treffen die letzten Vorbereitungen.

Kurzfristige Absage

Einige Stunden vor der Reise dann der Hammer: Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der zeitgleich einen Besuch im Kriegsgebiet plante, verschiebt seine Reise. Warum dieser Rückzug? Hat sich die Gefahr erhöht? Gibt es Auswirkungen auf die Mission? Ein gut gepflegtes Kontaktnetz mit der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts (BKA) in Deutschland zahlt sich aus. Schnell ist klar: Die Ausgangslage für die Schweiz ist unverändert, die Mission kann durchgeführt werden.

In der Nacht auf den 20. Oktober 2022 reist die Delegation rund um Bundespräsident Ignazio Cassis – inzwischen in Polen angekommen – mit dem Zug in die Ukraine. Mit dabei: die Polizisten von fedpol. Im Hauptquartier von fedpol wird jede Fahrt – im Polizeijargon «Verschiebung» – mitverfolgt. In regelmässigen Rapporten tauscht sich fedpol mit den Partnern von EDA, KMZ und VBS aus. Es kommt zu keinen Zwischenfällen – die Delegation befindet sich gleichentags in den Abendstunden auf der Rückreise. Sobald die polnische Grenze überquert ist, löst sich die Spannung. Nicht so für die Medienstellen von EDA und fedpol: Schliesslich ist eben erst unerwartet der Bundespräsident in ein Kriegsgebiet gereist.